



Endlich! Die Zeit der trockenen Theorie ist Geschichte – ab heute gilt es, die erworbenen Kenntnisse in die Praxis umzusetzen; die erste Bewährungsprobe steht an, das Meer und die Segel rufen 🙂
Am 10. September starten wir um 4 Uhr zu Hause, wir fahren los Richtung französisches Mittelmeer. Endgültiges Ziel wird der Hafen Port Pin Rolland in Saint Mandrier-sur-Mer sein, von dort wollen wir am Samstag 11. September mit dem versierten Skipper Wolfgang Koch aus Freiburg DE nach Korsika und wieder zurück segeln. Prognostiziert sind mindestens 300 Seemeilen.
Dank des geringen Verkehrs kommen wir bereits vor dem Mittag in Seyne-sur-Mer an und checken für eine Nacht im Hotel Kyriad Prestige ein. Vertreiben uns anschliessend die Zeit mit einem Bummel durch die Altstadt, erfrischen uns im Swimmingpool und erklimmen die „Pont Basculant“, eine ehemalige, 42 Meter hohe Eisenbahnbrücke, die heute als Aussichtsturm dient.
Anderntags ist es soweit, wir setzten zum ersten Mal unseren Fuss auf den Katamaran Coconout, eine Athena 38 von Fountaine Pajot. Nach einer Besichtigung (ui, enge Koje) geht die gesamte Besatzung einkaufen. Es müssen Lebensmittel für eine Woche und für 6 Personen an Bord geschafft werden. Nach einem gemeinsamen Nachtessen in Saint Mandrier sur Mère, einer kurzen Nacht und einem stärkendem Frühstück heisst es dann um 12 Uhr „Leinen los“. Das Abenteuer hat begonnen. Bei gutem Wind segeln wir auf einem Halbwindkurs Richtung Korsika. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit hat der Wind auf Raumwind gedreht und mächtig aufgefrischt, das erste Reff ist gesetzt und der Nachtwache-Plan liegt vor. Während meiner Nachtwache von 10.00 bis 02.00 Uhr bläst der Wind mit teilweise fast 30 Knoten dermassen stark, dass sich Wolfgang für das Setzen eines zweiten Reffs entschliesst. Mit der Lifeline am Steuerstand gesichert, sehe ich dem Manöver mit Interesse zu. Die nächtlichen Stunden sind hauptsächlich mit Beobachtungsaufgaben ausgefüllt, da der Autopilot den Kurs selbständig hält. Der Aufenthalt und das arbeiten an der frischen Luft hilft gegen die latente Übelkeit, begleitet werden wir von tausenden von Sternen am Nachthimmel. Mühe bereitet das Abschätzen der Entfernungen anderer Schiffe, die uns entweder kreuzen oder in derselben Richtung fahren. Bei Unsicherheit ist der Skipper in der Nähe und könnte eingreifen, ein sehr beruhigender Umstand! Nach der Übergabe an Stefan sinke ich um kurz nach 2 Uhr zu meinem schwer seekranken Schatz in die Koje und schlafe sofort ein.
Entgegen der Prognose von ca. 24 Stunden für die Überfahrt treffen wir bereits um kurz nach 6 Uhr im Yachthafen der korsischen Stadt Calvi ein. Der Weg wurde uns dabei vom berühmten Feuer „La Revellata“ mit seinen 21 Meilen Nenntragweite gewiesen. Nach einem stärkenden Kaffee und dem unverzichtbaren Baguette setzen wir mit dem Dingi rüber aufs Festland. Steil geht der Weg hinauf in die Unterstadt, wo sich Geschäfte an Restaurants und Kneippen reihen. Wir geniessen den atemberaubenden Blick von der Zitadelle über den Hafen und das Meer und laufen über den Platz mit dem Denkmal für den vermeintlichen Sohne des Ortes, den Genuesen Christoph Kolumbus.
Aufgrund der Voraussage des Hafenmeisters von rechtem Schwell für die Nacht, verschieben wir uns in den geschützten Teil der Bucht. Unsere je 2 Stunden Ankerwache vergehen ohne nennenswerte Probleme. Nach dem Frühstück und einem mutigen Bad im knapp 20 Grad „warmen“ Wasser lichten wir den Anker und segeln 26 Seemeilen nach Girolata, ein kleiner Ort im Naturschutzgebiet von La Scandola. Empfangen werden wir vom heiseren Wiehern eines einsamen Esels, der irgendwo an einem der steilen Hänge sein Zuhause haben muss. Auch heute noch führt keine Strasse in diesen kleinen Fischerort, dafür schwemmen Ausflugsboote aus Ajaccio, Calvi und Cargèse in regelmässigem Abstand Dutzende von Besuchern an Land.
Nach dem Bojenmanöver setzen wir mit dem Dingi und den Schiffspapieren rüber und suchen zum Bezahlen der 27 Euro die Capitainerie auf. Beim anschliessenden Gang durch den kleinen Ort suchen wir den Esel auf und geniessen von der Terrasse des Restaurants „Le bon Espoir“ die tolle Sicht auf die Bucht, kosten das erste „Pietra“ (korsisches Bier) und ein feines Nachtessen. Die darauf folgende Nacht ist endlich wachefrei – wir können durchschlafen.
Am anderen Morgen stellt Wolfgang beim Studieren der Wetterdaten- und Prognosen fest, dass der günstige Süd-Südwestwind bereits am Donnerstag nachlassen wird. Daher entschliessen wir uns, die Überfahrt bei noch günstigen Winden zurück ans französische Festland bereits am Mittwoch anzutreten. Der Besuch des Naturschutzgebietes La Scandola, ein Weltkulturerbe der Unesco, entwickelt sich für Wolfgang zur kleinen, persönlichen Katastrophe! Da wollte er uns die einmalige Küste mit ihren steilen und rot gefärbten Felsen ganz in Ruhe zeigen – doch die vielen Ausflugsboote machen ein Geniessen fast unmöglich. Als dann noch ein grosses Rundfahrt-Boot mit lauter Musik an Bord heranbraust, reist unserem Skipper endgültig der Geduldsfaden und wir brechen vorzeitig Richtung Côte d’Azur auf. Im Gegensatz zum Halb- und Raumwindkurs auf der Hinfahrt setzen wir die Segel nun für einen Hart-am-Wind-Kurs, der Wind bläst uns mit über 20 Knoten direkt auf die Nase. Der Wacheplan wird von Daniel bereits ab 14 Uhr erstellt. Aufgrund der zu erwartenden Abdrift wäre ein Ankommen in St. Tropez und somit ein Kurs von etwa 280 Grad optimal. Dazu darf aber der Wind nicht unter 30 Grad einfallen. Nebst des beobachten von Positionslichtern anderer Schiffe gilt das Hauptaugenmerk nun den Instrumenten und den Segeln. Dick eingepackt und fest gesichert absolviere ich meinen Dienst. Der Wind nimmt immer mehr Fahrt auf und mich wirft’s auf dem Ruderstand hin und her, als ich Wolfgang wegen eines sich schnell nähernden Schiffes zu Rate rufe. Genau als er aus dem Cockpit nach draussen tritt, wirft ihn eine Welle um – er prallt gegen die Tischplatte, welche aus der Verankerung reisst und laut zu Boden kracht. Wolfgang verliert das Gleichgewicht und stürzt ebenfalls hin. Mir stockt der Atem vor Schreck, wenn es ihn nur nicht über Bord nimmt! Aber zum Glück steht unser Skipper unverletzt auf. Noch vor der Übergabe der Nachtwache an Daniel sehe ich am Horizont ein blitzendes Licht. Kann das bereits ein Leuchtfeuer sein? Wolfgang zählt es aus und unglaublich, das ist wirklich bereits das Leuchtfeuer von Cap Camarat mit einer Nenn-tragweite von 25 Seemeilen. Uns wird bewusst, mit welchem Tempo wir vorangekommen sind.
Als ich am Morgen kurz nach 6 Uhr aufwache, steht unser Boot. Mit noch ganz kleinen Äuglein kraxle ich aus der Koje nach oben und traue meinen Augen nicht. Wir ankern direkt vor einem der begehrtesten Strände der Welt, dem Tahiti-Plage von St. Tropez. In den frühen Morgenstunden wirkt das Ganze aber ruhig, zahm und verschlafen. Wir haben es also geschafft und haben ein Punktlandung hingelegt! Nach einem starken Kaffee und einem erfrischenden Bad im Mittelmeer kehren die Lebensgeister zurück. Schon ein paar Stunden später scheint die Sonne prall und heiss auf uns herunter. Nun kurven auch ein paar Privat-Yachten herum, die ich zuerst für kleinere Meerschiffe gehalten habe. Unglaublich, welcher Reichtum hier zur Schau gestellt wird.
Um 12 Uhr lichten wir die Anker – wir wollen rüber nach Port Cros, eine der hübschen Hyère-Inseln. Machen zuvor Halt in Port Cavallaire-sur-Mer, um dort unsere Frischwasservorräte aufzufüllen. Das Anlegemanöver unter Anleitung von Wolfgang klappt schon ganz manierlich und die beiden Wassertanks (à 200 Liter) sind bald gefüllt. Aufgrund der Zeitknappheit und der ungünstigen Winde nehmen wir für die anschliessende Überfahrt den Motor zur Hilfe. Bei trübem Wetter, Kälte und leichtem Nieselregen laufen wir um 17 Uhr in den Yachthafen der kleinen hyèrschen Insel ein. Noch an den Bojen festgemacht, mit den letzten Essensresten ein feines Essen gekocht und schon kriechen wir zum letzten Mal in die Kojen. Herrlich, keine Wachen – durchschlafen.
Am frühen Morgen rudern Claudia und ich auf dem Dingi rüber in den Hafen – frisches Baguette einkaufen. Ein letztes Frühstück und schon legen wir ab, es geht nach Toulon zum tanken. Das erneute Anlegemanöver gelingt noch besser – die Übung zahlt sich aus.
Am Freitag, 17. September um 15 Uhr laufen wir wieder im Hafen von Port Pin Rolland ein.
Es ist geschafft! Unser erster Meilentörn verlief interessant, lehrreich und spannend – aber vor allem ohne Zwischenfälle oder Probleme. Wir sind glücklich und auch ein wenig stolz auf uns. Im Wissen, dass noch viel vor uns liegt und der Weg noch weit ist, verlassen wir das Schiff und den Yachthafen mit einem guten Gefühl – schwankend und etwas landkrank 🙂
Tags: Projekt