



Unmittelbar nach dem sich der Segelvirus bei uns eingenistet hat realisiert Daniel, dass fehlender oder mangelnder Wind der Alptraum des Segelns und im speziellen für die Segelprüfung ist. Und sowohl auf dem Zürich- wie dem Bodensee ist oft Flaute zu beklagen. Daher der Entscheid, die praktische Segelprüfung dort zu absolvieren, wo Starkwind bläst – auf dem St. Moritzer-See.
Am Morgen des 3. Oktober 2009 ist es soweit, wir packen unser Auto und beziehen knappe 3 Stunden später eine kleine Wohnung in Pontresina, 10 Minuten vom See in St. Moritz entfernt.
Montag, 5. Oktober 2009
Pünktlich um 9.30 finden wir uns bei schönstem Wetter und strammem Südwind beim Clubhaus des St. Moritz Segelclub ein. Mit im Schlepptau ist Kollegin Christiane, die einen wiederholten Anlauf für das Erreichen des Segelscheins nimmt.
Gebucht haben wir von Montag bis Freitag, pro Tag ca. 6 Std. Segelunterricht. Für die abschliessende, praktische Prüfung ist der Freitag reserviert.
Wim Rossell, unser quirliger, belgischer Segellehrer begrüsst uns. Nach einer Tasse Kaffee gegen die Nervosität geht’s kurze Zeit später auf’s Boot, eine „First Class 7“ mit dem Namen „Corse“. Noch fahren wir mit einem ungerefften Grosssegel ………
Wir haben uns für den ersten Tag die „richtigen“ äusseren Bedingungen ausgesucht! Der Wind bläst mit ca. 6 Beaufort und Segellehrer Wim sieht sich nach kurzer Zeit veranlasst, die Kenterunfähigkeit des Bootes zu demonstrieren. Dies insbesondere, weil Christiane wiederholt entsprechende Ängste äussert…… Auf sein Kommando „alle festhalten“ legt er das Boot so hart an den Wind, dass ich wirklich das Gefühl habe, das Boot kentert gleich. Mein Herz schlägt ein wenig schneller – aber der Segellehrer weiss was er tut.
Nach dem Mittagessen und einem Reff im Segel geht’s wieder raus. Der Wind hat noch etwas zugelegt, als Christiane an der Pinne sitzt. Just als sie mit Fahrfehler das Boot abrupt stoppt, wird dieses von einer Böe mit ca. 40 Knoten erfasst! Zum Glück halten wir uns in diesem heiklen Moment alle fest. Der Mast berührt die Wasseroberfläche. Auch nachdem alle Schoten los sind, will sich das Boot nicht wieder aufstellen. Erst als Wim geistesgegenwärtig und kräftig auf das Ruderblatt tritt, richtet sich die „Corse“ wieder auf. Die ganze Tragweite und der Ernst der Situation, in dem wir uns befanden, wird uns erst viel später an Land bewusst. Mit einem zweiten Reff im Grosssegel und viel Vorsicht wagen wir uns anschliessend wieder auf den See hinaus. Der Rest des Tages verläuft flott aber unproblematisch.
Dienstag, 6. Oktober 2009
Nach einer guten Nacht finden wir uns kurz vor 10 Uhr wieder am St. Moritzer See ein. Der Wind hat noch nicht nachgelassen, sondern jagt mit unvermittelter Geschwindigkeit über das Wasser. Die Segelmanöver fordern uns wie schon am Vortag alles ab.
Diesen Dienstag vermittelt uns Wim die folgenden Segel-Basics: Segeln des Manöverkreises, Bug über Backbord oder Steuerbord – entweder wahlweise oder nach Ansage
Am Abend, kurz nach 7 Uhr, falle ich fröstelnd und völlig kaputt ins Bett. Wach werde ich wieder nach 12 ½ Stunden. Es muss am Segeln, an der Höhe und an der frischen Luft liegen…..
Mittwoch, 7. Oktober 2009
Ein strahlender Morgen begrüsst uns auch heute. Die Temperaturen sind zur frühen Morgenstunde noch recht kühl. Für mich heisst das eine weitere wärmende Schicht anziehen…
Als wir von Pontresina her gegen St. Moritz fahren, hängen die Fahnen noch kraftlos an den Masten. Doch um Schlag 11 Uhr, als hätte jemand am Schalter gedreht, frischt die Luft auf. Wie jeden Tag machen wir die „Corse“ startklar und schon geht’s wieder los.
Das heutige Übungs-Programm umfasst:
Der Mittwoch entpuppt sich als wahrer Prachtstag! Steter Wind mit etwa 4 Beaufort, kaum Wellen, Sonne satt und ein blauer Himmel lassen unsere Seglerherzen höher schlagen. Eigentlich sollte man bei solchen äusseren Bedingungen einfach manöverfrei segeln dürfen. Doch uns sitzt der Zeitdruck im Nacken und auch die Wetterprognosen für die kommenden Tage verheissen wenig Gutes, ein Wetterwechsel wird vorausgesagt, also widerstehen wir der Versuchung und üben weiter fleissig die Manöver.
Am Abend leide ich wie alle die Tage zuvor an der „Landkrankheit“. Kaum stehe, sitze oder liege ich still, beginnt alles zu schaukeln. Dafür bin ich gänzlich von der Übelkeit auf See befreit 🙂
Donnerstag, 8. Oktober 2009
Zum ersten Mal in dieser Woche hat sich am Morgen zäher Nebel festgesetzt. Die Bäume rund um den St. Moritzer See haben sich merklich verfärbt und leuchten jetzt in den Herbstfarben. Kurz nach dem Mittag kommt die prognostizierte Wetterverschlechterung, es beginnt leicht zu regnen. Schnell die Seglerhosen montiert und die Regenkapuzen über den Kopf gezogen, bevor es Unverrichteterweise wieder auf den See geht.
Kurzfristig stellt Wim die Möglichkeit in den Raum, die Prüfung bereits auf den heutigen Abend vorzuziehen. Aber irgendwie sitzt an diesem Tag der Wurm drin! Obwohl ich mich wirklich sehr bemühe, segle ich eine Patenthalse nach der anderen. Ich verzweifle fast. Je länger der Nachmittag dauert umso leerer wird mein Kopf und ich segle anstatt korrekter Wenden kopflose Patenthalsen. Grosse Zweifel an einem erfolgreichen Ausgang der Segelprüfung kommen auf und meine Stimmung ist an einem Tiefpunkt angelangt. Christiane geht es genau so – nur Daniel segelt in gewohnt souveräner Manier. Wim schickt uns am Abend mit der Auflage nach Hause, nicht mehr ans segeln zu denken sondern uns nach einem Glas Wein ins Bett zu legen…….
Treffpunkt zum grossen Tag ist 9.30 Uhr beim Segelclub St. Moritz!
Freitag, 9. Oktober 2009
Nach einer langen Nacht ohne Schlaf (!!) ist er da – der Tag der Tage! Daniel versucht rührend, mich abzulenken und zu beruhigen. Die Prüfung ist nicht das Leben – und sollte ich es dann doch nicht schaffen, wäre es auch nicht der Weltuntergang – aber sowieso, ich werde es ganz sicher schaffen…. Ich höre ihn zwar, aber es prallt alles von mir ab.. Ich will jetzt einfach nur, dass es endlich los geht und schnell vorbei ist. Diese Nervenanspannung ist to much!
Das Einsegeln bei mässigem Westwind kurz nach 10 Uhr verläuft relativ problemlos. Es ist kühl und leichter Regen fällt.
Die endlosen Minuten, bis der Experte kommt, überbrücken wir mit einem Gesellschaftsspiel im Clubrestaurant. Ablenkung à la Wim – ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren…..
Das Wetter wird unterdessen immer düsterer und vom Maloja her schwappen dunkle Wolken heran. Noch weht ein Lüftchen zaghaft aus westlicher Richtung…. Aber Hauptsache es weht!
Um 11.30 biegt der Experte, Herr Leuzinger, um die Ecke. Nach der freundlichen Begrüssung und den Regeln, was er toleriert (2 Versuche bei den Manövern) und was nicht (Patenthalse), gilt es Ernst. Die Reihenfolge sieht vor:
Daniel No. 1 – Martina Vorschoter
Martina No. 2 – Daniel Vorschoter
Christiane No. 3 – Daniel Vorschoter
Soweit so gut und zu Beginn der Prüfung geht auch alles glatt – der „alte“ Segelbär Daniel bedient die Pinne souverän, segelt alle Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit, hat eben ordnungsgemäss an der verlangten Boje halt gemacht, als der Wind wie von Geisterhand einfach abstellt. Verdutzte Gesichter. Es gibt auf dem See kein Motorboot – also nur eine Möglichkeit an Land zu kommen und das ist reinpaddeln! Herr Leuzinger auf der einen und ich auf der anderen Seite des Bootes rudern also von der Boje vor St. Moritz-Bad quer über den See zurück an den Hafen. Das gibt warm!
Bei solchen Bedingungen ist an eine Prüfung nicht zu denken. Wir hadern mit dem Schicksal. Da hatten wir zu Beginn der Woche beinahe Orkan-Böen und am entscheidenden Tag verlässt uns der Windgott??
Aber alles Jammern hilft nicht – rein ins Restaurant und ran an den Stammtisch. Die Herren bestellen ein reichhaltiges Menu – wir Frauen versuchen es mit einem Beruhigungstee 🙂 Nach kurzer Beratschlagung wird vereinbart, es nach Möglichkeit am späteren Nachmittag oder dann am Folgetag zu versuchen. Just als sich Herr Leuzinger verabschieden will, kommt Wind auf! Wir lassen alles stehen und liegen und rasen raus. Das Prüfungsprogramm wird ad hoc umgestellt – wir müssen alle Drei zusammen aufs Boot.
Ich darf beginnen, Christiane wird mir als Vorschoter zugeteilt. Alles gelingt zufriedenstellend – nur ausgerechnet bei meinem Steckenpferd, dem MOB patze ich und muss das Manöver noch einmal beginnen. Christiane taugt als Vorschoter gar nichts und Herr Leuzinger übernimmt doch tatsächlich diese Position!
Nach dem letzten angeordneten Manöver „beidrehen“ kann ich Daniel die Pinne übergeben. Von ihm verlangt Herr Leuzinger noch eine Halse. Plötzlich frischt der Wind sehr stark auf und wir dürfen nochmals in den Hafen einfahren, nun um das Segel zu reffen.
Danach kommt endlich Christiane an die Reihe. Wir sind angenehm überrascht, sie segelt einwandfrei und ausnahmsweise ohne zu fluchen oder zu jammern die verlangten Manöver. Nachdem uns Christiane in den Hafen gefahren hat, will sich Herr Leuzinger als Letztes noch überzeugen, dass wir die geforderten Knoten beherrschen. Auch das passt!
Und dann ist der da – der grosse Moment, auf den wir die ganze Woche hin gearbeitet haben. Für den ich Nerven gelassen und graue Haare bekommen habe….
Zu Daniel sagt er: „Selbstverständlich haben Sie bestanden, da gibt es nicht das Geringste auszusetzen, Bravo und Gratulation“
Auch uns Beiden gratuliert er – Bestanden! Wir müssten aber noch etwas ruhiger werden!
Seine Ermahnungen an Christiane, ihre ungenügenden Vorschoterkenntnisse auf Vordermann zu bringen, höre ich schon gar nicht mehr richtig – mir kullern doch tatsächlich Tränen der Erleichterung und der grossen Freude über die Wangen. Die ganze Anspannung löst sich auf einmal und ich kann endlich wieder entspannt atmen.
Die Umarmung von Dani, die Gratulation von Christiane, Wim und Herr Leuzinger und das anschliessende Cüpli im Restaurant geniesse ich in vollen Zügen!
Es wird späterer Nachmittag, bis ich endlich richtig realiert habe, dass Daniel und ich einen weiteren grossen Schritt geschafft haben!
Tags: Projekt